Schreiben

PIEMONT
Anschauungsunterricht in Sachen Gastfreundschaft und Höflichkeit
Weinreise im Sommer 1996

Auch im Vorfeld unserer neuerlichen Reise galt es etwelche Hürden bzw. Hindernisse zu überwinden, um sich schliesslich am Freitagnachmittag aus fast allen Himmelsrichtungen herströmend, auf dem Bahnhofplatz von Asti, das einem hässlichen Eingangstor zum Piemont glich, zu treffen.
Einer, ohne Strassenkarte von Südfrankreich herkommend, die anderen, im verspäteten, überfüllten Zug, nach ersten kommunikativen Bierbestellschwierigkeiten, schweissgebadet und nicht minder müde, als der Erstgenannte, endlich ankommend, um sogleich Richtung Alba, dem Herzen der Gegend aufzubrechen.
Leider entsprach das Wetter nicht gerade unserer Vorstellung, mussten wir doch die letzten Sonnenstrahlen im Tessin zurücklassen und uns der Eintönigkeit der Poebene hingeben - grau in grau - und die Weitsicht wurde schon am nächsten Hügel durch eine Nebelwand unterbunden.
Dieser Umstand sollte die Stimmung aber kaum beeinträchtigen, sahen wir uns nämlich schon nach wenigen Metern von anderen, grösseren und weit wichtigeren Problemen umgeben, die einer baldigen Lösung harrten. Ein Problem sollte uns jedoch das ganze Wochenende auf Schritt und Tritt folgen und liess sich nur im Anflug eines schöpferischen Moments und eines linguistischen Ergusses des Schreibers Wenigkeit lösen: die italienische Sprache.
Zum Glück hatten wir im „Globo“ einige wichtige Informationen über das Piemont mitbekommen und die Wahl des Hotels bei der Ankunft in Alba fiel uns leicht, denn der Preis, die Ausstattung des Zimmers gekoppelt mit der entzückenden Erscheinung, die uns den Schlüssel aushändigte, stimmte alles und beim Betreten des Balkons, der zum Zimmer gehörte, den Blick geniesserisch über die Dächer von Alba wandern lassend, war uns, als hörten wir Schreie ........!
Für das bevorstehende Nachtessen konsultierten wir die handschriftlichen Notizen eines Freundes, der diese von einem Kenner der Piemontszene vorgängig eingeholt hatte und entschieden uns, sich auf unsere
Pfadfinderkenntnisse verlassend, das Restaurant selber zu suchen. Nur Augenzeugen könnten im nachhinein genau sagen, wie oft die drei ausgehungerten 'Zucchhini' die Piazza Savona umrundeten, Einheimischen Angst einjagten und sich über die wenig besetzten Stühle und Tische der zahlreich vorhanden Beizen (leider nicht der gesuchten) verwunderten, um sich schliesslich zähneknirschend der Hilfe der Receptionistin anzuvertrauen.
Via Zwischenhof, ganz intim, gelangten wir endlich zu unserer Osteria (man nehme den richtigen Durchgang), in der uns, nach erfolgter Voranmeldung durch unsere „angelina italiana“ Platz angeboten wurde. Etwas müde, hungrig und vor allem aufs Äusserste gespannt, liessen wir uns nieder und erforschten unsere Umgebung.
Wir sassen in einer typischen, modern eingerichteten, hell erleuchteten, an den Wänden mit Weingestellen vollgestopften L-förmigen Halle, gerade richtig gross, um sich nicht verloren vorzukommen, oder etwa das Gefühl zu haben, die Sitzfläche mit dem Gast am Nachbartisch teilen zu müssen.
Ganz dem Tipp der freundschaftlichen Notizen folgend, verliessen wir uns auf des Meisters Empfehlungen und machten uns schon Gedanken, wer wohl unsere vielgesuchte „Leila“ sein könnte, die uns Degustiertipps, andere wichtige Informationen vermitteln sollte und der wir noch Grüsse aus der Schweiz zu übermitteln hatten.
Das Essen, sechs Gänge, der Wein, zwei Flaschen Nebbiolo d’Alba, gefolgt von Espresso und Pfeife, ausgefüllt mit Gesprächsstoff über dasselbe, den Samstag, die rassige „Donna“ am Nachbartisch, bis hin zur Lüftung des Geheimnisses um Leila und deren Tipps, war der Abend ein absoluter Höhepunkt, ja eine Wucht.
Der Preis trug das Seine zum Gelingen bei, entsprach er doch einem Trinkgeld, verglichen mit den Preisen, die uns in heimischen Gefielden für dieselben Leistungen abverlangt würden.
Der kulinarischen Hochgefühle voll, gelangten wir erneut vom Zwischenhof auf die Piazza Savona, die zu unserer Überraschung doch noch erwacht zu sein schien, waren die vermeintlich leeren Plätze mittlerweilen übervoll und wir mussten uns kurzerhand den Weg durch die Menschenmenge bahnen, um doch noch zur Theke zu gelangen, hatte sich doch der Durst nach einem Schlummi breit gemacht und die ansprechende Aussicht auf diverse Kurven und Formen, Hügel mit und ohne, die sich uns bot, wollten wir uns jetzt wirklich nicht entgehen lassen. Einen letzten Blick auf ein entschwindendes Hinterteil, wohlgeformt, offensichtlich ohne oder wenig, erheischend, wandten wir uns, wie Ortskundige, Richtung Hotel, in freudiger Erwartung der Schlüsselübergabe, die aber vor dem Erreichen der Hotellobby durch das Wort eines Routiniers getrübt und alsbald bestätigt wurde, konsultierten wir den Balkon, liessen unsere Blicke erneut über die Dächer schweifen und.... waren da nicht Schreie zu hören?

Die Nacht verlief „reibungslos“ und schon trafen wir gestaffelt, frisch gestylt und hungrig beim Frühstücksbuffet ein.
Nachdem wir uns bei einem, durch Leila angegebenen Weinbauern für den Nachmittag anmelden liessen, führten wir unseren schon fast legendären, obligaten und viel erprobten Spaziergang durch, unterbrochen oder vielmehr verschönert durch einen Halt in einem Bistro, zwecks Einnahme eines Espresso, wo wir rege diskutierten und uns ob der Gastfreundschaft der Italiener fast mit einem Gast überwarfen, den Ablauf des Nachmittags besprachen.
Alba war uns an diesem Tag etwas zu hektisch, herrschte doch Markt und man hätte meinen können, halb Italien hätte sich extra eingefunden, um noch die letzten, nötigen Einkäufe für den kommenden Winter, der ja bestimmt einmal kommen würde, tätigen zu können.
So zogen wir es vor, Alba zu verlassen und uns in Richtung der Rebhügel des Piemonts aufzumachen. Einem Beschreib in einem Reiseführer folgend durchstreiften wir Hügel, Dörfer, auf und ab, einen Zwischenhalt in Barolo einlegend und näherten uns unserem Zielort Monforte d’Alba, wo wir den Weg zum Weinbauern erfragen mussten.
Ein kleines „Plättli“ zum Bier erfrischte uns und die nette und korrekte Wegerklärung, wie sich zeigen sollte, liess uns unserem zentralen Inhalt unseres Daseins, dem Degustieren, näherkommen.
Der Weinkeller entsprach leider nicht den Erwartungen aus dem Burgund, liessen aber den Wein ebenso gut erscheinen und der Kauf liess nicht lange auf sich warten, gab doch höchstens die Quantität des zu kaufenden Weins oder etwa das Fassungsvermögen des Autos zu Diskussionen Anlass.

Höchst erfreut und optimistisch entschieden wir uns, keinen weiteren Weinbauern aufzusuchen, sondern uns langsam auf den Weg zu einem weiteren kulinarischen Höhepunkt, in der Nähe von Asti, zu machen. Den Mangel einer Strassenkarte konnten wir endlich beseitigen und durch Inanspruchnahme der wenigen italienischen Sprachbrocken und der Freundlichkeit des italienischen Durchschnittsbürgers fanden wir endlich das ersehnte Lokal, das von aussen, wie so vieles in Italien, keinen grossen Optimismus versprühte, doch der Kenner Italiens weiss, dass immer das zählt, was sich dahinter verbirgt.
Der Koch öffnete auf unser Läuten, war die Beiz doch noch geschlossen und nahm unsere Reservation, nach Konsultieren der Verfügbarkeit eines Tisches, gerne entgegen. 20.30 Uhr sollten wir uns einfinden und so blieb uns scheinbar genügend Zeit, noch eine Bleibe für die Nacht zu suchen.
Die anschliessende Irrfahrt, in Sachen Suche eines Hotels, wird uns noch lange in Erinnerung bleiben und sollte nicht in allen Details beschrieben werden, zumal wir immer wussten, wo wir waren, aber nie, wo sich ein Hotel befindet.
Schliesslich wurden wir in Alessandria fündig und die Zeit reichte gerade noch für einige von uns zu Duschen, oder den Rücken waschen zu lassen, mussten wir uns doch schon wieder auf den Rückweg machen, wollten wir nicht erst beim Hauptgang eintreffen, war doch das „Bologna“ eines der Restaurants, das für alle Gäste das Gleiche servierte, mit Beginn eben um 20.30 Uhr und wer verspätet eintreffen sollte, würde alles Vorangegangene verpassen.
Unsere Verspätung hielt sich im Rahmen und die erste Vorspeise erreichte uns, bevor wir vom Patron begrüsst worden waren, geschweige uns dem Bestellen des Weines widmen konnten. Ganz den präzisen Notizen folgend, nämlich auf die Empfehlung des Chefs zu hören, eröffneten wir den Abend mit einem leichten Hauswein, der hervorragend zu den zahlreichen Vorspeisen passte, gefolgt von einem vollmundigen Barolo, eines Weinbauers, der auch auf unserer Liste von Leila figurierte und den wir bei unserem nächsten Besuch berücksichtigen müssen, getrauten wir uns nicht, wegen Unkenntnis der Preise, einen „Gaja“ zu bestellen.
Der Abend plätscherte dahin und wir wurden von Höhepunkt zu Höhepunkt getragen, einem König gleich, unvorstellbar, einmalig, mit einem Wort: bombastisch.
Nach Bezahlung der Zeche, ein Lächeln huschte über unsere leicht erröteten Wangen, lächerlich, und einem kurzen Smalltalk auf italienisch zum Abschied, drückten wir dem Patron die Hand, bedankten uns herzlich und gingen zähneknirschend hinaus, bot er uns doch noch Hotelzimmer im ersten Stock an, und unsere nachmittägliche Odyssee war uns wieder in Erinnerung gekommen.
Satt und müde sanken wir, ohne ein Wort, in unsere bescheidenen Betten und schon bald übertönte das Prasseln des Regens unser regelmässiges Atmen.

Das schlechte Wetter liess uns schon nach dem Frühstück Richtung Schweiz aufbrechen und je näher wir der Grenze kamen, desto intensiver wurde die Diskussion - sollen wir, oder sollen wir nicht? An einer der letzten Zahlstellen kurz vor der Grenze wurde der Fahrer gewechselt und als das „Pokerface“ das Steuer übernahm, war auch schon klar, dass wir „nicht“ würden, so lange sie uns nicht fragen sollten. Nach einem Halt am Urnersee kamen wir wohlbehalten und rechtzeitig für alle Arbeitenden zu Hause an, bewältigten die grosse Rechnerei problemlos, freuten uns an der gemeinsam verbrachten Zeit, lobten die Entscheidung zu unserer Reise und machten uns nicht ganz unkritische Gedanken über die Zukunft.